ver.di-Online-Handlungshilfe
zur Gefährdungsbeurteilung

Rechtsbruch seit bald 22 Jahren!

Die Antwort der Bundesregierung vom 1. März 2018 auf eine Kleine Anfrage mehrerer Bundestagsabgeordneter sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bestätigt die Nichteinhaltung des Arbeitsschutzgesetzes. Seit 1996 ist vorgeschrieben, dass Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und dabei psychisch wirkende Gefährdungsfaktoren zu berücksichtigen haben. Aus den Ergebnissen dieser Gefährdungsbeurteilungen sind Arbeitsschutz-Maßnahmen abzuleiten, durchzuführen und auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.

Als aktuelle Daten liegen der Bundesregierung die aus der Dachevaluation (Betriebsbefragung) der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) aus dem Jahr 2015 vor. Demzufolge werden in 52 % der Betriebe Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt, von diesen berücksichtigen 41 % psychische Belastungen (siehe Antwort, S. 16). Gerade einmal 21,32 % der Arbeitgeber halten sich demnach an (seit langem) geltendes Recht!

Für Schnell-LeserInnen die genannten Zahlen in der Mitteilung der Bundestagsabgeordneten Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen) vom 13. März 2018.

Noch skandalöser sieht es aus, wenn man sich die Zahlen zur Ableitung von Arbeitsschutz-Maßnahmen ansieht. Die diesbezüglichen Ergebnisse der GDA-Betriebsbefragung 2015 differenzieren allerdings nicht bezüglich psychischer Belastungen, es geht also um die Summe aller Arbeitsschutz-Maßnahmen und ihre Wirksamkeit. Gerade einmal in 12,9 % aller Betriebe gibt es auf Wirksamkeit überprüfte Arbeitsschutz-Maßnahmen! (Siehe Antwort, S. 17.) Gesamt gesehen halten sich also lediglich 12,9% der Arbeitgeber an das für sie geltende Arbeitsschutz-Recht!

Selbst diese Zahlen sind noch zu hinterfragen: Wie die Qualität der Durchführung der (wenigen) durchgeführten Gefährdungsbeurteilungen zu sehen ist: Wurden beispielsweise alle Tätigkeiten der Beschäftigten berücksichtigt? Waren Betriebs- bzw. Personalräte eingebunden, waren Beschäftigte beteiligt? Gleichermaßen ist zu fragen, wie die notwendigen Arbeitsschutz-Maßnahmen abgeleitet, also gefunden wurden.

Und selbst die erschütternde Zahl von 12,9 % spiegelt noch nicht den wahren Stand des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland wider: Die Wirksamkeitsprüfung dient dazu festzustellen, ob bei der Gefährdungsbeurteilung aufgefundene Gesundheitsgefahren und –gefähr-dungen durch die Arbeitsschutz-Maßnahmen beseitigt wurden. Sind solche Maßnahmen nicht wirksam, müssen neue Arbeitsschutz-Maßnahmen gefunden, durchgeführt und wiederum auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Durch die Nichterfassung entsprechender Zahlen muss offen bleiben, wie viele der nur 12,9% aller Betriebe bei Feststellen von Nicht-Wirksamkeit neue Arbeitsschutz-Maßnahmen abgeleitet haben.

Autorin: Anna Wirth